Die Integration von Wut als Quelle der Lebenskraft.
Der Titel kann manche Menschen triggern. Was? Wut als etwas Positives zu sehen? Das ist doch furchtbares Gefühl! Damit muss man weg! Die Wut darf man nicht empfinden!
(Beobachte dich selbst, wenn du an die Wut denkst. Welche Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen kannst du wahrnehmen?)
Besonders bei uns, die in unserem kollektiven Unbewussten Erfahrung der Weltkriege tragen, ist das Thema Wut ein großer Trigger. Das Gefühl von Wut wird mit einer Weltkatastrophe, mit dem Tod und Verletzungen assoziiert. Und jeder Konflikt wird um jeden Preis vermieden, auch wenn den Preis unsere Kinder zahlen müssen. Im Allgemeinen wird die Wut unterdrückt.
Als Erwachsene sind wir dafür verantwortlich, für unsere Gefühle, unerfüllte Bedürfnisse aus der Kindheit und für unsere “Heilung” verantwortlich. Ohne dafür Verantwortung zu übernehmen können wir niemanden liebevoll führen, uns selbst, die Kinder, die Untergebenen.
In unserem Schatten liegt unsere Lebensenergie.
Das Gefühl von Angst und Trauer wird viel lieber in der Gesellschaft angenommen. Etwas was den Menschen passiv, in sich zurückgezogen und ohnmächtig macht, wird positiver beurteilt und sozial akzeptiert. Leute sprechen auch immer offener über Depression, Panikattacken oder Burn out. Was finde ich als einen sozialen Fortschritt.
Dabei ist die Wut ein Teil unserer menschlichen Natur und sie findet ihren Ausweg. Wenn nicht durch unkontrollierte Wutausbrüche, dann durch psychosomatische Beschwerden, mentale Probleme, ungesunde Konkurrenzkampf, Mobbing, Erniedrigung und andere Scheußlichkeiten.
Außerdem ohne den Zugang zur Wut sind wir schläfrig, passiv und manipulierbar. Ohne die gesunde Integration der Wut sind wir kraftlos, leblos. In den tantrischen Werken wurde geschrieben: Shiva (Bewusstsein) ohne Kali (Göttin des Todes, der Zerstörung und der Erneuerung) ist Shava (leblos, der Leichnam). Das bedeutet, wenn wir die Wut nicht integrieren, sind wir wie Toten. Oder wie kleine, hilflose Mädchen in alten Körpern. Und es kommt kein Prinz, um uns zu befreien.
Die Wut zeigte auch Jesus in der Geschichte von einer Tempelreinigung, über die alle vier Evangelien berichten. Als Jesus im Jerusalemer Tempel die Händler und die Geldwechsler sah, trieb er sie mit einer Geißel aus Stricken, stieß Tische um und verschüttete das Geld der Wechslers. Die Perikope gilt als die eigentliche Anlass der Passionsgeschichte. Als Jesus die Geldgier und die Verlogenheit der Menschen sah, reagierte er mit Zorn und Aggression.
Kannst du deine Wut wahrnehmen? Wie druckst du sie aus? Bestrafst du dich, wenn du das Gefühl empfindest? Schämst du dich, wenn du wütend bist? Erlaubst du dir selbst und anderen wütend zu sein? Hier geht es darum, den Raum für die schwierige Gefühle zu schaffen.
In den Zeiten der Verzweiflung, wenn ich große persönliche und soziale Ungerechtigkeiten beobachtete, half mir – als ich alleine zu Hause war – laut vor mir zu schreien. Andere werfen vor sich mit weichen Kuscheltieren oder boxen den Boxsack.
Der Ausdruck der Wut lässt uns unsere Urkraft zu spüren. Durch lautes Schreien, werfen, boxen können wir unsere Lebensenergie wahrnehmen und die Wut in etwas Wunderschönes und sozial Nützliches verwandeln.
Hast du Angst vor deiner Lebendigkeit? Hast du Angst vor deiner Wahrheit?
Deine Wut lädt dich zum Handeln ein. Sie rüttelt dich aus dem Schlaf, aus dem bloßen Funktionieren und dem braven Folgen einen Unsinn. Deine Wut ist ein Tor zu deiner Lebendigkeit und zu positiven, sozialen Veränderungen.
Das Gegenteil von Liebe ist Angst, nicht Wut. Da wo Angst herrscht, kann keine Liebe sein. Habe keine Angst vor deiner Wut. Sie ist ein unvermeidbarer Stein auf dem Weg zur Selbstliebe und zu einer besseren Welt, ohne Krieg, Konkurrenzkampf und mentalen Krankheiten.